Bericht an die Mitgliederversammlung am 1. September 2021
Liebe Freundinnen und Freunde jüdischen Lebens,
unser Verein wurde am 21. Oktober 2019 gegründet. In der Präambel der Satzung heißt es über die Aufgaben und Zwecke des Vereins:
+ Er pflegt die Erinnerung an jüdisches Leben in der Region Werra-Meißner
+ Er setzt sich ein für den Erhalt und die Nutzung von Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen
+ Er stellt sich dem Hass und den Ressentiments gegenüber Juden entgegen und wirbt für ein friedliches Miteinander
Diese recht allgemein gehaltene Zweckbestimmung gilt es mit Leben zu füllen. Der Gründungsvorstand hat versucht, in diesem Sinne zu wirken. Trotz der eingeschränkten Möglichkeiten wegen der Corona-Pandemie konnten insgesamt 13 verschiedene Kleingruppen den Lern- und Gedenkort in der Synagoge Abterode besuchen, darunter Lerngruppen aus Kirchengemeinden, aus Schulen und Menschen mit einem besonderen Interesse an jüdischem Leben:
+ Die Schulleiterdienstversammlung des Werra-Meißner-Kreises am 16.12.2019
+ Eine Lerngruppe der Anne-Frank-Schule Eschwege am 05.02.2020
+ Ein Besuch der Bezirksdenkmalpflegerin Rebekka Schindehütte am 06.08.20
+ Ein Besuch von Jugendlichen aus dem Küsterdienstteam und Mitgliedern der Gottesdienstgruppe der Evangelischen Stadtkirchengemeinde Eschwege am 08.08.2020
+ Eine Besuchergruppe aus der Kirchengemeinde Sontra am 15.08.2020
+ Ein Besuch des Leitungsteams vom Archiv der Jugendbewegung am 26.08.2020
+ Ein Besuch von Rob Ariens und mit Freunden am 12.10.20
+ Ein Besuch der Fachkonferenz Religion aus der Johannisbergschule Witzenhausen am 23.10.2020
+ Ein Besuch von Konfirmandinnen und Konfirmanden aus der Stadtkirchengemeinde Eschwege am 10.07.2021
+ Ein Besuch der Jury für den Hessischen Landesdenkmalschutzpreis am 13.07.2021
+ Ein Besuch von Konfirmandinnen und Konfirmanden aus dem Kirchspiel Germerode am 04.08.2020
+ Ein Besuch der Konfirmandinnen und Konfirmanden aus dem Kirchspiel Waldkappel am 07.07.2021
+ Der Besuch einer Wandergruppe am 22.08.2021
Darüber hinaus wurden einige besondere Veranstaltungen vorbereitet und durchgeführt, etwa zum Holocaust-Gedenktag oder zum „Tag des offenen Denkmals“. Ferner gab es eine ganze Reihe von Vorträgen und Dialogveranstaltungen, die auf großes Interesse stießen:
+ Eine Veranstaltung zum Holocaust-Gedenktag am 27.01.2020 mit Annamaria Zimmer und York Egbert König
+ Ein digitaler Workshop mit dem Landtagsabgeordneten Felix Martin zum Umgang mit
Verschwörungsmythen und rechter Hetze am 27.02.2020
+ Eine Veranstaltung zum Thema „Wie lebt es sich als Jude in Deutschland?“ Evangelisches Forum Werra-Meißner am 28.02.2020 mit Manuel Pelz, Mitglied der jüdischen Gemeinde Felsberg, und Dr. Michael Dorhs, Leiter des Referates für Schule und Unterricht im Landeskirchenamt Kassel
+ Eine Youtube-Andacht in Zusammenarbeit mit dem Evangelischen Kirchenkreis Werra-Meißner am 16.08.2020
+ Ein digitales Angebot am „Tag des offenen Denkmals“ am 13.09.2020. Toni Trebing und Walter Junghans erzählten, wie sie die Synagoge in Abterode in ihrer Kindheit erlebt haben
+ Eine Veranstaltung für zugewanderte russische Jüdinnen und Juden am 22.09.2020 in Zusammenarbeit mit dem Verein „Interkulturelles Miteinander im Werra-Meißner-Kreis
+ Ein Vortrag von Annamaria Zimmer, Martin Arnold und Melanie Salewski über das Jahr 1933 aus jüdisch-regionaler Perspektive am 28.04.2021
Auch einige Politikerinnen und Politiker verschiedener Parteien, darunter Mandatsträger aus Kreis und Land, besuchten die Synagoge Abterode, um sich über die Arbeit des Vereins zu informieren. Alle zeigten sich beeindruckt von unserer Arbeit und sicherten ihre weitere Unterstützung zu:
+ Ein Besuch von Staatsminister Michael Roth mit den beiden Landtagsabgeordneten Karina Fissmann und Knut John am 03.08.2020
+ Der Landtagsabgeordnete Felix Martin am 14.08.2020
+ Ein Besuch des Landtagsabgeordneten Stefan Naas am 08.10.2020
+ Ein Besuch der SPD-Kreistagsfraktion am 24.11.2020
+ Die Hessische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst Angela Dorn am 05.03.2021
Da die Möglichkeiten zur Durchführung von Veranstaltungen seit Beginn der Pandemie sehr beschränkt waren, haben wir ergänzend zum Internetauftritt des Vereins auch Socialmedia-Kanäle bei Facebook, Instagram, Twitter und Youtube eingerichtet. Über diese Wege konnten wir auch während der starken Einschränkungen viele Menschen erreichen und ansprechen. Auf „Facebook“ hat der Verein insgesamt 611 Freundinnen und Freunde, auf Instagram 122 Abonnenten und auf dem ersten kürzlich eingerichteten Twitter-Account neun Personen, die unsere Nachrichten verfolgen. Der Youtube-Kanal des Vereins hat zwar nur acht Abonnenten, aber einzelne Beiträge wurden mehr als 80mal aufgerufen. Viele Informationen werden auch auf der Internetseite des Vereins www.synagoge-abterode.de zur Verfügung gestellt.
Auch die Ausstattung des Lern- und Gedenkortes in der Synagoge Abterode wurde verbessert. Dazu gehören zum einen 30 Klappstühle mit Kissen und entsprechende Transportwagen. Es wurden auch eine Kamera installiert und eine sogenannte „Spinne“ angeschafft, die es ermöglichen, in der Synagoge auch Hybridveranstaltungen durchzuführen. Und ganz neu ist eine App mit der Software „Actionbound“, mit der man einen Rundgang durch das jüdische Abterode machen kann. Unser Vereinsmitglied Marie-Christin Krüger hat diese App entwickelt. Künftig können sich Interessierte mit einem Tablet oder einem Smartphone auf den Weg machen, um die jüdische Schule, das jüdische Tauchbad oder den jüdischen Friedhof in Abterode zu entdecken.
Alle diese Projekte konnten nur realisiert werden, weil wir finanzielle Unterstützungen erhielten, u.a. von der Belegschaft des Volkswagenwerks in Baunatal, dem Verein „Andere Zeiten“, der „Partnerschaft für Demokratie im Werra-Meißner-Kreis“, dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und viele Einzelspendern.
Auch auf ein ganz besonderes Projekt möchte ich hinweisen. Es gelang die virtuelle Rekonstruktion des Innenraums der Eschweger Synagoge. Die Eschweger Synagoge, deren Innenraum während des Pogroms 1938 zerstört wurde, ist nun wieder mit Hilfe von drei virtuellen Brillen begehbar. Gefördert wurde diese anspruchsvolle und neuartige Technik durch den Verein für Regionalentwicklung, die Stadtstiftung Eschwege und das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst.
Mittlerweile hat der Verein 65 persönliche und 18 institutionelle Mitglieder. Er ist als gemeinnützig anerkannt. Über weitere Mitglieder und auch über ehrenamtliche Mitarbeit würden wir uns sehr freuen. So suchen wir dringend noch weitere Personen, die Führungen im Lern- und Gedenkort übernehmen könnten. Eine eingehende Schulung wird dazu selbstverständlich angeboten.
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem jüdischen Leben in der Region Werra-Meißner konnte stark gefördert werden durch ein Themenheft der Eschweger Geschichtsblätter zum jüdischen Leben in der Region. Darin finden sich unter anderem Beiträge von Prof. Andreas Lehnardt (Universität Mainz) über die Abteröder „Genisa“ und Dr. Karl Kollmann über die jüdische Gemeinde Abterode im 17. und 18. Jahrhundert. Ferner wurde die digitale Datenbank im Lern- und Gedenkort auf inzwischen 265 Beiträge erweitert.
Um unsere Anliegen zu verwirklichen, ist die Vernetzung und Zusammenarbeit mit anderen Akteuren sehr wichtig. Zu allererst möchte ich dabei den Verein „Aufwind“ nennen, der die Lern- und Gedenkstätte in der Synagoge Abterode realisiert und unseren Verein sozusagen „aus der Taufe gehoben“ hat und der uns auch weiterhin nach Kräften unterstützt. Eine gute Zusammenarbeit gibt es mit der Liberalen jüdischen Gemeinde „Ehmet we Schalom“ in Felsberg. Kontakt aufgenommen haben wir auch zu der jüdischen Gemeinde in Kassel und sie zu einem Besuch nach Abterode eingeladen. Beantragt wurde die Mitgliedschaft in der Gesellschaft für jüdisch-christliche Zusammenarbeit in Kassel. In guter Verbindung stehen wir auch zu vielen Schulen in der Region und zum Staatlichen Schulamt, zu Kirchengemeinden und zum Evangelischen Kirchenkreis, zu einigen Kommunen und zum Landkreis. Im Blick auf die weitere Erforschung von Lebenswegen ehemaliger jüdischer Mitbürger konnten wir zahlreiche Entdeckungen machen durch die Zusammenarbeit mit den Archiven von Yad Vashem in Israel und mit „Arolsen Archives“, in denen die Lebens- und Leidenswege von über 17,5 Millionen von den Nazis verfolgten Menschen dokumentiert werden.
Die Einrichtung des Lern- und Gedenkortes in der Synagoge Abterode wurde in diesem Jahr nominiert für den Hessischen Denkmalschutzpreis. Schon darin drückt sich eine große Anerkennung für unser Projekt aus. Am 15. September werden wir erfahren, ob wir eine Auszeichnung erhalten.
Im Rahmen des Jubiläumsjahres „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ planen wir für den Herbst diesen Jahres Schulprojekttage an der Anne-Frank-Schule und an der Brüder-Grimm-Schule in Eschwege, an der Rhenanus-Schule in Bad Sooden-Allendorf, an der Johannisberg-Schule in Witzenhausen und an der Adam-von-Trott-Schule in Sontra.
Ferner laden wir für den 12. September – den „Tag des offenen Denkmals“ – ein, den Lern- und Gedenkort Synagoge Abterode zu besuchen. Er wird von 11.00 bis 16.00 Uhr geöffnet sein. Außerdem laden wir für Montag, den 8. November 2021, zu einem Gedenken an die Novemberpogrome 1938 nach Abterode ein. Bei einem Rundgang, der um 17.00 Uhr an der ehemaligen Synagoge beginnt und zu verschiedenen Orten des Geschehens führt, werden die gewaltsamen Aktionen anhand der vorhandenen Quellen nachgezeichnet und es wird der Opfer gedacht.
Abschließend möchten wir eine Frage ansprechen, mit der sich der Vorstand immer wieder intensiv beschäftigen musste: Wie kann die Synagoge Harmuthsachsen gerettet werden? In Harmuthsachsen ist die einzige Dorfsynagoge im Werra-Meißner-Kreis erhalten, die heute nicht für andere Zwecke genutzt wird. Sie wurde bei den Pogromen 1938 nur deshalb nicht zerstört, weil die sehr klein gewordene jüdische Gemeinde in Harmuthsachsen sie bereits 1928 verkauft hatte. Die Synagoge wurde viele Jahre über als Stall und Scheune genutzt, bis der Förderverein für die Synagoge Harmuthsachsen (der sich inzwischen unserem Verein angeschlossen hat) erreichen konnte, dass sie mit Hilfe des Landesamtes für Denkmalpflege baulich saniert wurde. Im Jahr 2004 wurde das Projekt sogar mit dem Hessischen Denkmalschutzpreis ausgezeichnet. Die Gebäude stehen wegen ihrer besonderen Bedeutung unter Denkmalschutz.
Doch seither verfallen die Gebäude leider wieder. Der private Eigentümer hat ein Betreten des Grundstücks und der Gebäude untersagt. Er unternimmt nichts, um die Gebäude zu erhalten. Wenn es so weiter geht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Gebäude einstürzen. Der Vorstand hat – in Absprache mit dem Werra-Meißner-Kreis und der Stadt Waldkappel, die auch beide Mitglieder unseres Vereins sind – Gespräche geführt mit dem Hessischen Landesamt für Denkmalschutz, mit der Hessischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst (die auch für den Denkmalschutz zuständig ist), mit verschiedenen Abgeordneten des Hessischen Landtages und dem Regierungspräsidium in Kassel.
Der Verein bittet die Untere Denkmalschutzbehörde, in Absprache mit dem Landesamt für Denkmalpflege kurzfristig geeignete bauliche Maßnahmen zu ergreifen, um die vom Verfall bedrohte Synagoge in Harmuthsachsen und das Nebengebäude zu sichern.
Perspektivisch hoffen wir, dass die Synagoge und das zugehörige Nebengebäude in öffentliches Eigentum überführt werden können. Der Verein der Freundinnen und Freunde jüdischen Lebens könnte es übernehmen, die Synagoge für kulturelle Zwecke (Führungen, Ausstellungen, Lesungen, Sommerkonzerte) öffentlich zugänglich zu machen. Mit Hilfe der Arbeitsgemeinschaft Archäologie im Werra-Meißner-Kreis könnte dann eventuell auch die darin verborgene Mikwe (jüdisches Tauchbad) freigelegt werden. Er könnte ferner die ehemalige jüdische Lehrerwohnung erschließen (Entrümpelung durch freiwillige Arbeitseinsätze) und für Führungen herrichten.
Die Stadt Waldkappel wäre dann bereit, künftig auf die Grundsteuer und sämtliche anfallende Gebühren für die ehemalige Synagoge und das angrenzende Gebäude zu verzichten. Der Bauhof der Stadt könnte sich um kleinere Unterhaltungs- und Pflegemaßnahmen kümmern.
Das Landesamt für Denkmalpflege hat für den Fall eines Eigentümerwechsels zugesagt, den Verein in fachlicher Hinsicht und bei der Akquise von Fördermitteln kräftig zu unterstützen. Es bestünde die Chance, das jüdische Ensemble in Harmuthsachsen baulich zu erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Doch kann unser noch junger und kleiner Verein ein solches Projekt schultern? Dabei geht es nicht nur um die finanziellen Möglichkeiten, sondern auch um die personellen Ressourcen, die für die Baumaßnahmen und für die Realisierung des angedachten Nutzungskonzeptes nötig sind. Darüber möchten wir nachher – der Punkt steht ja auf der Tagesordnung – gern mit Ihnen ins Gespräch kommen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!