Machten sich ein Bild von Eschwege: Edward und Judith Stein mit Ludger Arnold und Martin Arnold (rechts) vom Verein Freunde und Freundinnen jüdischen Glaubens nach dem Besuch bei Bürgermeister Alexander Heppe (links). Foto: Tobias Stück

Eschwege – So richtig kann Edward Stein (75) noch nicht beschreiben, wie es sich anfühlt, wieder in Deutschland zu sein. Vor 75 Jahren hatte der Jude als Baby das Land verlassen und bislang keinen Bedarf, in das Land zurückzukehren, in dem seiner Familie so viel Leid angetan wurde. Seine Sicht der Dinge änderte sich, als Martin Arnold ihn angeschrieben hat. Der Vorsitzende des Vereins Freundinnen und Freunde jüdischen Glaubens im Werra-Meißner-Kreis forscht gerade zum DP-Camp (siehe Kasten) in Eschwege und kam so mit Edward Stein in Kontakt.

Doch der Reihe nach: Edward Stein hat eine besondere Beziehung zu Eschwege. Am 11. Februar 1947, so steht es auch in seinem Pass, wurde er in Eschwege geboren. Selbstverständlich war das nicht, denn seine Eltern kamen eigentlich aus Berlin. 13 Monate lebten sie in Eschwege im Camp für Displaced Persons (Umplatzierte Personen). „Sie warteten hier auf ihre Ausreise in die USA“, erzählt Edward Stein.

Mitten in dieser Phase des Aufbruchs wurde ihr erstes Kind Edward geboren. „Das war nicht unüblich“, hat Martin Arnold während seiner Forschungen über das Lager herausgefunden. Zur damaligen Zeit habe in dem Camp die höchste Geburtenrate weltweit geherrscht. Alle waren glücklich, den Holocaust überlebt zu haben, und feierten das Leben, erzählten Edward Steins Eltern. „Jedes jüdische Kind, das nach dem Holocaust geboren wurde, ist ein Sieg über den Nationalsozialismus“, sagt Bürgermeister Alexander Heppe, der Edward und seine Frau Judith im Rathaus am Freitag empfangen hatte. Er freute sich über das Treffen. „Wir können die Dinge nicht ungeschehen machen, sie aber mit solchen Treffen sichtbar machen.“

An Eschwege hat Stein keine Erinnerungen mehr. Als er ein halbes Jahr alt war, reisten seine Eltern mit ihm über Butzbach und Bremerhaven aus. Es gibt noch Fotos im Archiv des Großvaters, die Edward Stein auf dem Arm seiner Mutter bei der Hochzeitsfeier zeigen. Seine Erinnerungen mischen sich aus den Fotos und den Erzählungen seines Vaters zu einem Bild zusammen. Ab 1948 bauten sich die Steins ein Leben in den USA auf. Sie lebten erst in New York in Queens, später an der Lower Eastside und in Brooklyn. Stein besuchte das College in Queens, wurde Chemiker, promovierte, heiratete vor 41 Jahren seine Frau Judith und bekam mit ihr drei Kinder. Seit einem Jahr ist der 75-Jährige in Rente und widmet sich seinen Leidenschaften Musik und Geschichte.

Und genau in dieser Zeit traf die Kontaktaufnahme von Martin Arnold einen Nerv bei Edward Stein. Er unterstützte Arnold bei seinen Forschungen zum DP-Camp so gut er konnte. Und auch den Vorschlag, nach Deutschland zu kommen, konnte er jetzt annehmen. Seit einigen Tagen ist er im Land seines Vaters. Er besuchte unbekannte Verwandte in Frankfurt, erkundet eine Woche lang zusammen mit Martin Arnold Eschwege. Am Oberstufengymnasium und an der Adam-von-Trott-Schule in Sontra spricht er mit Schülern. Gestern besuchte er die Gebäude, die von dem DP-Camp übrig geblieben sind. Die nächsten Tage wird Stein in Berlin verbringen, wo Vater und Großvater gelebt haben.

Dass sich mit dem Besuch in Deutschland ein Kreis geschlossen hat, würde Edward Stein nicht sagen. „Aber ich fühle mich meiner eigenen Geschichte jetzt näher.“