Bericht des Vorstands zur Mitgliederversammlung am 28. September 2022
Liebe Freundinnen und Freunde jüdischen Lebens im Werra-Meißner-Kreis,
die Arbeit unseres Vereins konnte seit der letzten Mitgliederversammlung am 1. September 2021 erfolgreich fortgesetzt werden. Nach wie vor ist das Interesse am jüdischen Leben in unserer Region groß. Viele Gruppen besuchten der Lern- und Gedenkort in der Synagoge Abterode:
+ Schülerinnen und Schüler des Oberstufengymnasiums in Eschwege
+ die Frau-Holle-Schule in Abterode
+ Konfirmandengruppen aus Eschwege
+ die Fachkonferenzen Geschichte und Religion der Rhenanus-Schule Bad Sooden-Allendorf
+ die Fachkonferenzen Geschichte der Friedrich-Wilhelm-Schule und des Oberstufengymnasiums in Eschwege
+ die Lehrenden im Vorbereitungsdienst für das Lehramt
+ die Polizei Eisenach
+ eine Pilgergruppe vom Kloster Germerode
+ der Rotary-Club Eschwege
+ die drei Lions-Clubs aus Eschwege, Eschwege-Werratal und Bad Sooden-Allendorf
+ der Turngau Werra
+ der Werratal-Verein Sontra
+ eine Frauengruppe aus Fulda-Bronzell
+ der Männerkreis Hessisch-Lichtenau
+ das ganze große Team der Ev. Familienbildungsstätte Eschwege
+ eine Historiker-Runde
+ der Deutsch-Israelischen Gesellschaft
+ … und mehrere Familien und andere Kleingruppen.
Die Veranstaltungen in der Synagoge wurden gut angenommen:
+ Eine Szenische Lesung mit Dr. Dieter Vaupel (Gudensberg) und Alida Scheibli, Lesung und Klavier (Felsberg) in der Synagoge Abterode (26.01.2022)
+ Eine Passionsandacht in der Synagoge Abterode (07.04.2022)
+ Die „Lädchenfeier“ (10 Jahre Lebensmittelladen in der Synagoge) mit Öffnung des Lern- und Gedenkortes (21.05.2022)
+ Der „Tag des offenen Denkmals“ in der Synagoge Abterode (11.09.2022)
Auch Veranstaltungen an anderen Orten des Werra-Meißner-Kreises fanden großen Zuspruch:
+ das Gedenken an den Novemberpogrom 1938 in Abterode in Form eines Rundgangs (08.11.2021)
+ Öffentliche Vorstellung des Korbinan-Apfelbaums in Witzenhausen (08.05.2022)
+ Pfännervortrag in Bad Sooden-Allendorf zur Geschichte der jüdischen Unternehmerfamilie Bodenheim (23.06.2022)
+ 80-jähriges Gedenken an die Deportation 1942 in Eschwege (05.09.2022)
+ Ein Vortrag von Jakob Baier in der Anne-Frank-Schule Eschwege zum Thema „Antisemitismus in Jugendkulturen – Erscheinungsformen und Gegenstrategien (14.09.2022)
Die Arbeit des Vereins fand Anerkennung durch die Verleihung des Hessischen Denkmalschutzpreises und durch den Manfred-Schaub-Ehrenamtspreis der SPD. Angesichts der Vielzahl von Veranstaltungen ist es dringend erforderlich, dass wir noch mehr Menschen finden, die uns ehrenamtlich unterstützen. Ein erster Schritt dazu ist die Erweiterung des Vorstands, über die wir nachher beraten werden.
Die Mitgliederzahl unseres Vereins hat sich im zurückliegenden Jahr leicht erhöht. Der Verein hat jetzt 78 persönliche und 20 institutionelle Mitglieder.
Der Vorstand des Vereins – Anna Maria Zimmer, Ludger Arnold, Dr. Lutz Bergner, Friedhelm Junghans und ich – hat sich im zurückliegenden Jahr fünf Mal getroffen. Wir versuchen, die Zahl der Sitzungen gering zu halten, weil die Zeit und die Kräfte für andere Projekte benötigt werden. Der bisherige Vorstand, der bei der Gründung im Jahr 2019 gewählt wurde, stellt sich nach drei Jahren zur Wiederwahl. Er braucht aber dringend Verstärkung. Wir schlagen Ihnen dafür heute vier Persönlichkeiten vor, die den Verein schon bisher punktuell unterstützt haben: Melanie Salewski, die dem Vorstand schon angehörte, aber ihre Mitarbeit aus persönlichen Gründen unterbrechen musste, stellt sich wieder als Schriftführerin zur Verfügung. Thomas Bartscher, Arnold Baier und Bernd Helbach kandidieren zusätzlich als Beisitzer. Sie werden sich nachher selbst vorstellen.
Die Ausstattung des Lern- und Gedenkortes konnte weiter verbessert werden. Wir sind jetzt in der Lage, auch Hybridveranstaltungen durchzuführen, also mit Präsenz in der Synagoge und zugleich für die Teilnahme am heimischen Bildschirm. Durch Thomas Bartscher werden wir dabei technisch unterstützt. Angesichts der Corona-Pandemie, aber auch im Blick auf Interessierte, die weit weg wohnen und sonst den Weg nicht machen würden, eröffnet dies neue Möglichkeiten.
Die Heizung des Raumes reicht im Winter nicht aus. Der Verein „Aufwind“ – nicht nur unser Vermieter, sondern auch unser engagiertes Mitglied – wird sobald wie möglich eine neue Heizung installieren lassen. Ein Fachrestaurator hat uns eine Fußleistenheizung empfohlen, die den Raum so ausreichend erwärmen kann, dass wir dort auch im Winter Veranstaltungen durchführen können.
Der Verein ist jedoch nicht auf Abterode begrenzt. Er möchte regelmäßig im ganzen Werra-Meißner-Kreis präsent sein. Deshalb haben wir auch Veranstaltungen in Eschwege, in Witzenhausen oder – am 17. Januar, dem Holocaust-Gedenktag – in Herleshausen.
Ein besonderer Arbeitsschwerpunkt war im zurückliegenden Jahr die Frage, wie die ehemalige Synagoge in Harmuthsachsen erhalten werden kann. In jeder Vorstandssitzung haben wir darüber beraten. Leider gibt es noch keinen Durchbruch. Die Synagoge und die ehemalige jüdische Schule in Harmuthsachsen gehören nach wie vor einem privaten Eigentümer, der nichts für die Erhaltung tut und das Betreten des Grundstücks untersagt. Es ist die einzige noch erhaltene Dorfsynagoge im Werra-Meißner-Kreis, die nicht für andere Zwecke genutzt wird. Deshalb appellieren wir an alle Verantwortlichen, mit ihren Möglichkeiten zum Erhalt der Synagoge und des zugehörigen Schulgebäudes beizutragen. Wir haben wiederholt das Gespräch gesucht mit dem Werra-Meißner-Kreis, der Stadt Waldkappel (beide auch institutionelle Mitglieder in unserem Verein), dem Regierungspräsidium, dem Landesamt für Denkmalpflege und Politikerinnen und Politikern aller Parteien. Obwohl unser Anliegen viel Verständnis und Unterstützung findet, konnte bisher noch keine Lösung erzielt werden. Es geht nicht nur um den Erwerb der Synagoge, sondern auch um ihre dauerhafte Unterhaltung. Auf sich allein gestellt wäre unser Verein damit überfordert. Deshalb suchen wir weiter nach einer gemeinsamen Lösung mit Kreis und Stadt.
Zu den Aufgaben unseres Vereins gehört auch die wissenschaftliche Erforschung jüdischen Lebens im Gebiet des heutigen Werra-Meißner-Kreises. Dankenswerterweise haben wir dabei große Unterstützung durch eine ganze Reihe von Fachleuten der Regionalgeschichte und der Judaistik. Stellvertretend für viele möchte ich hier nur nennen Dr. Karl Kollmann, Hans Isenberg, Thomas Beck, Helmut Schmidt, Mathias Roeper, Dr. Antje Laumann-Kleineberg, Dr. Elisabetta Abate und Prof. Dr. Hans-Jürgen Becker. Mit ihrer Hilfe konnten unsere bisherigen Kenntnisse bedeutend erweitert werden:
+ Hans Isenberg hat die Quellen zu allen jüdischen Schulen der Region gesucht, ausgewertet und Darstellungen verfasst, die über unsere Datenbank zugänglich sind. Wenn man weiß, dass die jüdischen Lehrer in der Regel auch Vorbeter in der Synagoge, manchmal auch Schächter und Rabbiner waren, ist damit eine einzigartige Übersicht über jüdisches Leben in der Region entstanden.
+ In den USA haben wir Video-Interviews mit Holocaust-Überlebenden aus Eschwege und Abterode entdeckt, die Aufschluss darüber geben, wie Jüdinnen und Juden die Nazizeit erlebt haben. Einige berichten auch von ihren Erfahrungen, als sie nach der Nazizeit ihre Geburtsorte besuchten.
+ Das Staatsarchiv in Marburg hat Dokumente (sog. „Ortsbeschreibungen“) aus dem Jahr 1854 digital zugänglich gemacht, die eine vergleichende Betrachtung aller jüdischen Gemeinden in der Region ermöglichen. Es wäre sehr reizvoll, daraus interaktive digitale Karten zu den jüdischen Gemeinden im Gebiet des heutigen Werra-Meißner-Kreises herzustellen.
Vielleicht gelingt uns das sogar mit Hilfe eines jugendlichen „Digital-Coaches“. Die Landesstiftung „Miteinander in Hessen“ und die Freiwilligenagentur „Omnibus“ fördern das ehrenamtliche Engagement von Jugendlichen, indem diese eine kostenlose Fortbildung zum Umgang mit digitalen Werkzeugen erhalten. Bisher haben sich zwei Jugendliche für die Fortbildung angemeldet. Wir sind ja ein überwiegend digitaler Lern- und Gedenkort in Abterode, mit Datenbank, Tablets, Großbildschirm und virtuellen Brillen. Die Möglichkeiten der Digitalisierung sind noch bei weitem nicht ausgeschöpft. Die Technik macht große Fortschritte, die wir für unsere Arbeit nutzen wollen. Auch die Mitarbeit von Erwachsenen ist uns sehr willkommen.
Bei aller Offenheit für die Nutzung moderner Technik geht es doch immer wieder um Menschen und ihre Lebenswege. Schon 1988 hatte Anna Maria Zimmer eine große Zahl von Holocaust-Überlebenden zu einem Besuch nach Eschwege eingeladen. Seither kommen immer wieder jüdische Überlebende und jetzt auch ihre Kinder zu Besuch. Vor ein paar Tagen besuchte uns Edward Stein mit seiner Frau Judi. Er ist 1947 in Eschwege geboren, in dem Lager für „Displaced Persons“, und dann mit seinen Eltern in die USA ausgewandert. Eigentlich wollte er nie wieder nach Deutschland zurückkehren. Dass er es nun doch getan hat, ist ein mutiger Schritt. Er kam, weil er die Gewissheit hatte, dass wir uns ehrlich der Vergangenheit stellen und dass wir inzwischen „Freundinnen und Freunde jüdischen Lebens“ geworden sind. Das ist ein großes Geschenk und eine wunderbare Erfahrung.
Ein besonderes Anliegen ist uns die Vernetzung mit anderen Akteuren. Die Unterstützung durch den Verein „Aufwind“ ist nach wie vor großartig. Wir arbeiten gut mit den Schulen und dem Staatlichen Schulamt zusammen. Wir erhalten finanzielle Projektförderungen durch die „Partnerschaft für Demokratie“ im Werra-Meißner-Kreis. Der Lern- und Gedenkort Synagoge Abterode wurde von der „Bundeszentrale für politische Bildung“ in ein Verzeichnis aller deutschen Erinnerungsorte aufgenommen. Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Kassel hat unseren Verein als Mitglied aufgenommen. Erwähnen möchte ich auch, dass die Polizeidirektion Eschwege unsere Veranstaltungen begleitet und schützt. Nur gemeinsam mit vielen anderen kann es uns gelingen, Respekt und Toleranz für jüdisches Leben zu bestärken und allen Formen des Antisemitismus entschieden entgegenzutreten.
Wir möchten den Bericht nicht zu lang ausdehnen. Selbstverständlich können Sie Rückfragen stellen, weitere Themen ansprechen oder Anregungen geben. Doch zunächst: Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!