Allgemein

  1. Was hat es mit diesem Apfelbaum auf sich?

    Der Korbiniansapfel wurde am 13. Mai 2020 in Gedenken an die Witzenhäuser Synagoge gepflanzt, die in unmittelbarer Nähe stand und am 8. November 1938 – schon einen Tag vor der sogenannten Reichspogromnacht – zerstört und am darauffolgenden Tag niedergebrannt wurde.

    Was wissen wir über die ehemalige Synagoge in Witzenhausen?

    Auch in Witzenhausen ging im Nationalsozialismus eine Welt unter: Die jüdische Gemeinde, die dort seit dem frühen 17. Jahrhundert bestand. Die Synagoge wurde 1938 demoliert und angezündet, die Mitglieder der jüdischen Gemeinde zur Auswanderung gezwungen oder deportiert und umgebracht.

    Eine jüdische Gemeinde bestand in Witzenhausen seit dem frühen 17. Jahrhundert. Erstmals wird eine Synagoge im Jahr 1622 erwähnt. Überregionale Bedeutung erlangte die Gemeinde im 17. und 18. Jahrhundert als Sitz des Landrabbinats (1625-1772), das als Rechtsinstanz über innerjüdische Streit- und Zeremonialfragen entschied. Dem Rabbinat war eine Talmudschule angeschlossen. Witzenhausen galt damals als „Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit“ in Hessen (Herbert Reyer).

    Eine erste Synagoge wird schon 1622 erwähnt. Nachdem im Jahr 1809 eine Synagoge in der heutigen Carl-Ludwig-Straße 11 einem Stadtbrand zum Opfer gefallen war, wurde 1810 eine neue Synagoge an der Ecke Steinstraße / Gelsterstraße errichtet.

    Über diese Synagoge schreibt Fritz Epstein im Jahr 1906: „Sie ist durch die klare, klassische Einfachheit des Grundrisses bemerkenswert. Die Anordnung ist eine durchaus symmetrische, Almemor und im Osten der Aron Hakodesch in einer Achse, seitlich davon das Gestühl, die Emporen an drei Seiten. Sie ist etwa 100 Jahre alt und unter französischer Herrschaft an einer Hauptstraße erbaut. Es war damals das Anbrechen einer freieren Zeit, deshalb wagt sich wohl auch das pyramidenförmige Dach, gar noch mit einem Dachreiter gekrönt, so stolz heraus. Eine schlichte Einfachheit ist innen und außen zu finden. Ein Baldachin, der über dem Allerheiligsten – einem einfachen Schrank – steht, ist wegen der sechs mit Palmenkapitäl geschmückten Holzstützen bemerkenswert. Die Frauenemporen sind von dem an einer Ecke anstoßenden Schulhaus zugänglich, getrennt von denen der Männer. Diese Absonderung wird noch dadurch charakterisiert, daß auf der Brüstung der Frauenempore ein hübsches Holzgitterwerk aufgesetzt ist. Die originellen Opferstöcke, einer neben dem Eingang im Erdgeschoß und einer auf der Empore, sind bereits in den Mitteilungen erwähnt und abgebildet. Es sei noch angeführt, dass links vom Allerheiligsten ein Waschgerät auf einem Holzpiedestal und rechts ein großer messingener Chanukkaleuchter steht. Unter den Silbergerätschaften ist einiges Hübsches …“ (Kultusbauten und Kultusgegenstände in der Provinz Hessen, S.9f).

    Neben der Synagoge lag das Schulhaus, in dem sich auch die Mikwe, ein Tauchbad zur rituellen Reinigung, befand.

    1932/33 hatte die Gemeinde 135 Mitglieder (= 2,7% der Bevölkerung). Es bestand eine jüdische Volksschule, an der Hugo Blumenfeld 12 Kinder unterrichtete. Blumenfeld war zugleich auch Schächter. In der Gemeinde gab es unter anderem einen Literatur-Verein und einen jüdischen Jugendbund.

    Die Synagoge wurde am 8. November 1938 demoliert und am Tag darauf niedergebrannt. „Bewaffnete Schlägerbanden von SA und SS drangen gewaltsam in jüdische Wohnungen und Geschäfte ein und trieben die jüdischen Bewohner unter Verhöhnungen und Misshandlungen durch die Straßen. Die Wohnungen wurden geplündert, das Mobiliar aus den Fenstern geworfen und zerstört. Viele der jüdischen Männer wurden verhaftet und in das KZ Buchenwald verschleppt.“ (Alemannia Judaica). Ein Teil der Gemeinde wurde zur Auswanderung gezwungen, ein anderer großer Teil in Konzentrationslagern umgebracht. Mindestens 55 Witzenhäuser Juden wurden auf dem Transport oder durch die Vernichtung in den Konzentrationslagern umgebracht.

    Was hat es mit dem Korbiniansapfel auf sich?

    Der Korbiniansapfel ist nach dem katholischen Pfarrer, Pomologen (Apfelwissenschaftler) und Antifaschist Korbinian Aigner (1885 – 1961) benannt.

    Aigner bezog schon ab 1923, nach dem er eine Rede Adolf Hitlers hörte, öffentlich Stellung gegen den Nationalsozialismus. Nach dem gescheiterten Attentat von Georg Elser auf Hitler am 8. November 1939 kam Aigner im Religionsunterricht auf das Fünfte Gebot (Du sollst nicht töten) zu sprechen. Dabei soll er gesagt haben: „Ich weiß nicht, ob das Sünde ist, was der Attentäter im Sinn hatte. Dann wäre halt vielleicht eine Million Menschen gerettet worden“. Wegen dieser Aussage wurde er angezeigt (vermutlich von einem seiner Schüler), verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Im Juni 1941 wurde er in das KZ Dachau gebracht. Dort wurde er zur Arbeit im Kräutergarten eingeteilt, einem Wirtschaftsbetrieb und Versuchsanstalt der SS, innerhalb derer auch Rudolf Steiners organisch-dynamische Landwirtschaft praktiziert wurde. Zwischen den Wohnbaracken züchtete er Äpfel.

    Im April 1945 wurde Aigner mit 10.000 anderen Häftlingen auf einen sogenannten „Todesmarsch“ nach Südtirol geschickt. Gleich zu Beginn des Marschs konnte Aigner fliehen und in einem Kloster bis Kriegsende Zuflucht finden.

    Nach dem Krieg arbeitete der „Apfelpfarrer“ wieder in seiner alten Gemeinde und beschäftigte sich bis zu seinem Tode mit seiner Leidenschaft für Äpfel.

    Von den, in seiner Zeit im KZ Dachau gezüchteten, Apfelsorten KZ1, KZ2, KZ3 und KZ4 existiert heute nur noch die Sorte KZ3, welche nach ihm benannt wurde und heute als „Korbiniansapfel“ bekannt ist.

    Martin Luther hat man das Wort zugeschrieben: „Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Dieses Zitat stammt jedoch nicht von Luther, sondern ist zum ersten Mal im Jahr 1944 in einem Rundbrief der „Bekennenden Kirche“ belegt. In der dunklen Zeit des Nationalsozialismus wollte man damit zum Ausdruck bringen, dass das Leben stärker ist als Unmenschlichkeit, Gewalt und Tod.

    Der jüdische Religionswissenschaftler und Schriftsteller Schalom ben Chorin brachte seine Hoffnung durch einen Mandelzweig zum Ausdruck. In einem Gedicht, das später vertont wurde heißt es: „Freunde, dass der Mandelzweig / wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt? Dass das Leben nicht verging, so viel Blut auch schreit, achtet dieses nicht gering, in der trübsten Zeit.

    Weitere Quellen:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Korbinian_Aigner#cite_note-2 (Stand: 4.3.22)

    https://www.sueddeutsche.de/muenchen/dachau/ns-ernaehrungspolitik-bio-gemuese-im-zeichen-des-hakenkreuzes-1.2419852 (Stand:4.3.22)

  2. Offen für Vielfalt – Was Juden und Christen miteinander verbindet

    „Juden und Christen sind Abrahams Kinder“, erklärte Dekan i. R. Dr. Martin Arnold in seiner Predigt. Etwa 60 Männer, Frauen und Jugendliche aus den Dörfern des Meißnervorlandes hatten sich auf dem Pfarrhof in Abterode zu einem gemeinsamen ökumenischen Gottesdienst versammelt. Er gehörte zu einer siebenteiligen Gottesdienstreihe unter dem Motto „Offen für Vielfalt – geschlossen gegen Ausgrenzung“. Konfirmandinnen und Konfirmanden hatten zuvor ältere Gemeindeglieder zum Verhältnis von Juden und Christen in der Zeit des Nationalsozialismus befragt. In Abterode liegen die evangelische Kirche und die Synagoge nur einen Steinwurf weit voneinander entfernt. Dennoch erfuhren die Konfis von Ausgrenzung, Vertreibung und Vernichtung der Abteröder Juden, teilweise aber auch von gutem Miteinander. Christen trügen, so Dr. Arnold, eine Mitverantwortung für den Judenhass in der Geschichte, an den die Nazis anknüpfen konnten. Dabei gebe es viele starke Gemeinsamkeiten zwischen Juden und Christen, vor allem der gemeinsame Rückbezug auf Abraham, den Vater des Glaubens. Deshalb sei heute eine klare Haltung gegen Judenhass, Rassismus und Ausgrenzung gefordert. Musikalisch gestaltet wurde der Gottesdienst von Winfried Wolf und Patricia Noll. Im Gottesdienst wirkten Mitglieder des evangelischen Kirchenvorstands Abterode und der katholischen Pfarrgemeinde Abterode mit. Als mitten im Gottesdienst ein Regenschauer niederging, flüchtete die Gottesdienstgemeinde in die Kirche nebenan.