Aktuelles
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Die Bitterkeiten des „Judensterns“
Unter den zahllosen Diskriminierungen und Demütigungen gegenüber Jüdinnen und Juden in der Nazizeit nimmt die „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung von Juden“ vom September 1941 eine besondere Stellung ein. Sie verpflichtete alle Jüdinnen und Juden, in der Öffentlichkeit einen gelben Aufnäher mit der Aufschrift „Jude“ auf der linken Brustseite ihrer Kleidung zu tragen, den sogenannten „Judenstern“. Es war ein Missbrauch des „Davidsterns“, eines wichtigen jüdischen Symbols. Die Träger wurden damit leicht zum Ziel antisemitischer Demütigungen und Angriffe.
Viktor Klemperer hat in seinen Tagebüchern viele Beispiele notiert, was das Tragen des „Judensterns“ für ihn bedeutete. „Alle Einzelfelder reichen nicht aus, die Bitterkeiten des Judensterns zu notieren“, schreibt er. Sebastian Perels vom Jungen Theater Eschwege las nun aus Klemperers „LTI – Lingua Tertii Imperii“. In diesem Buch analysiert der Literaturwissenschaftler Victor Klemperer (1881-1860) sehr feinsinnig und eindrucksvoll die Sprache des Dritten Reiches. Cassian Lier von der Musikschule Werra-Meißner ergänzte die Lesung durch einfühlsame Gitarrenmusik.
Cassian Lier (links) und Sebastian Perels
Martin Arnold vom Verein der Freundinnen und Freunde jüdischen Lebens im Werra-Meißner-Kreis berichtete, dass alle noch in Abterode lebenden jüdischen Personen am 20. Oktober 1941 um 6 Uhr zu einem Appell antreten mussten. Dabei wurde ihnen die Polizeiverordnung zum Tragen des „Judensterns“ eingeschärft. Laura Wallmann erzählte von Abraham Hesse aus Hebenshausen, der denunziert und angezeigt wurde, weil er einmal in der Öffentlichkeit keinen „Judenstern“ getragen hatte.
Im Lern- und Gedenkort Synagoge Abterode sind zahlreiche weitere Beispiele für die Ausgrenzung und Demütigung von Jüdinnen und Juden in der Region Werra-Meißner dokumentiert. Besuche und Führungen können unter info@synagoge-abterode.de verabredet werden.
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Mitgliederversammlung einstimmig für den Kauf der Synagoge Harmuthsachsen
Die Mitgliederversammlung der „Freundinnen und Freunde jüdischen Lebens im Werra-Meißner-Kreis“ stimmte gestern Abend einstimmig für den Kauf der Synagoge Harmuthsachsen. Ein entsprechender Vorschlag des Vorstandes fand nach eingehender Information und Beratung breite Zustimmung. Der Kaufpreis wird von dem Verein aufgebracht. Voraussetzung für den Kauf ist jedoch, dass der Werra-Meißner-Kreis verbindlich erklärt, den Verein bei der Unterhaltung der Synagoge zu unterstützen. Ludger Arnold, der zweite Vorsitzende des Vereins, informierte darüber, dass es dazu sehr konstruktive Gespräche mit der Kreisverwaltung gebe. Man versuche, sehr zeitnah zu einer Vereinbarung zu kommen.
Die Bedeutung der Synagoge Harmuthsachsen als letzte noch erhaltene und nicht fremd genutzte Synagoge im Werra-Meißner-Kreis steht außer Frage. Der Verein möchte sie künftig als Gedenkort für die jüdischen Familien aus Harmuthsachsen, als Begegnungsort für Menschen aus verschiedenen Kulturen und als Lernort für die nachfolgenden Generationen nutzen.
Den Bericht des Vorstands können Sie hier nachlesen: Bericht des Vorstands für die MV am 13.09.23
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Tag des offenen Denkmals: Viele Besucherinnen und Besucher in der Synagoge Abterode
Aus Abterode, aber auch aus vielen anderen Ortschaften des Werra-Meißner-Kreises kamen zahlreiche Besucherinnen und Besucher in die Synagoge, um sich dort über die jüdische Geschichte im Gebiet des heutigen Werra-Meißner-Kreises zu informieren. Vor allem die Interviews mit Zeitzeugen und die Einblicke in die unzerstörte Eschweger Synagoge mit Hilfe einer VR-Brille fanden großes Interesse. Dr. Martin Arnold und Arnold Baier vom Verein der Freundinnen und Freunde jüdischen Lebens nutzten die Gelegenheit, um mit ortskundigen Abterödern die Frage nach dem Ort der ehemaligen „Mikwe“ in Abterode zu erörtern. Aufgrund von neu aufgefundenen Bauplänen kann sie jetzt vermutlich genau verortet und vielleicht sogar virtuell rekonstruiert werden.
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Lea Schellhase berichtete über Opfer der Schoah aus Wichmannshausen
Lea Schellhase bei ihrem Vortrag
Ein Geschichtsseminar über „Stolpersteine“ an der Universität Kassel gab den Anstoß zu einer besonderen Recherche. „Wie war das eigentlich in meinem Dorf, in Wichmannshausen?“, fragte Lea Schellhase, die Grundschulpädagogik studiert. Jetzt stellte sie vor einem großen Publikum in der Adam-von-Trott-Schule in Sontra die Ergebnisse ihrer Recherche vor. Im Mittelpunkt ihrer Forschungen standen die jüdischen Familien Heilbrunn und Blum. Sowohl Sarah Else Blum als auch Rosa Heilbrunn waren in Wichmannshausen geboren. Beide Frauen und viele weitere Familienmitglieder wurden in Konzentrationslagern ermordet. Lea Schellhase zeichnete ihren Lebensweg nach. Besonders erschütternd war ein Zeitzeugenbericht über die Erfahrungen in der Pogromnacht 1938. Mit ihrer Recherche möchte sie dazu und beitragen, dass mit weiteren „Stolpersteinen“ an die Opfer der Schoah aus Wichmannshausen erinnert wird.
Im Zuge ihrer Forschungen stieß Lea Schellhase auch auf Brian Luber, einen Nachfahren der Familie Heilbrunn, der heute in Australien lebt. Dort war es nachts um 3.00 Uhr, als er sich per Video zuschaltete und den Beitrag von Lea Schellhase mit Erfahrungen und Fotos aus der Familie ergänzte. Dabei berichtete er auch von einem Besuch in Sontra im Jahr 2019.
Etwa 40 Personen waren zu dem Vortrag erschienen
Ludger Arnold von den „Freundinnen und Freunden jüdischen Lebens im Werra-Meißner-Kreis“ dankte Lea Schellhase und Brian Luber für ihre beispielhaften Forschungen. Er dankte der Adam-von-Trott-Schule für die gute Kooperation und auch dem Technikteam mit Jonathan Panke und Simon Exner, die im Rahmen ihres „Freiwilligen Sozialen Schuljahres“ mit Unterstützung von Thomas Bartscher für die technische Umsetzung der Hybridveranstaltung sorgten. Ein weiterer Dank ging an die Familie von Lea Schellhase, die einen köstlichen Imbiss vorbereitet hatte.
Von links nach rechts: Dr. Martin Arnold, Lea Schellhase, Ludger Arnold und Alwin Hartmann, 1. Stadtrat der Stadt Sontra
Von links nach rechts: Thomas Bartscher, Simon Exner und Jonathan Panke
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In Abterode jüdische Trauer- und Bestattungskultur entdecken
Etwa 40 Personen nahmen an der zweiten Führung über den jüdischen Friedhof in Abterode teil. Er ist mit 493 erhaltenen Grabstätten einer der ältesten und größten in Nordhessen. Laura Wallmann und Martin Arnold vom Verein der Freundinnen und Freunde jüdischen Lebens erläuterten die Veränderungen in der jüdischen Trauer- und Bestattungskultur vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. Als erste wurde Rechle, die Frau des Kalonymus, im Jahr 1659 auf dem neu angelegten jüdischen Friedhof Abterode beerdigt. Mit der Bestattung von Salli Stern im Jahr 1938 endete eigentlich die Geschichte der jüdischen Gemeinden Abterode und Frankershausen. Wer konnte, floh aus der Nazi-Diktatur ins Ausland. Wer nicht konnte oder wollte, wurde 1941 in das Ghetto nach Riga deportiert. Im Jahr 1941 sollte der Friedhof aufgelöst und das Gelände einer wirtschaftlichen Nutzung zugeführt werden. Dazu kam es jedoch nicht, weil die Nazi-Herrschaft 1945 endete.
Die Männer trugen bei der Führung eine Kopfbedeckung, wie es der jüdischen Kultur entspricht. Martin Arnold las das „Kaddisch“, das wichtigste jüdische Trauergebet. Fast alle stimmten ein und antworteten mit „Amen“.
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Was glauben Juden, was glauben Christen?
15 Konfirmandinnen und Konfirmanden der Evangelischen Stadtkirchengemeinde besuchten mit ihrer Pfarrerin Sieglinde Repp-Jost den Lern- und Gedenkort in der ehemaligen Synagoge Abterode. Noch niemand von ihnen hatte bis dahin eine Synagoge von innen gesehen. „Was ist das für eine Schachtel da am Türpfosten?“, fragte sie Martin Arnold von den Freundinnen und Freunden jüdischen Lebens gleich zu Beginn. Schritt für Schritt lernten die Jugendlichen durch eigene Recherchen mit Hilfe von Tablets, was eine „Mesusa“, ein „Tallit“ oder eine „Kippa“ ist. Im Mittelpunkt stand jedoch das „Schma Jisrael“, eines der jüdischen Grundgebete: „Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR ist einer. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.“ Da auch Jesus dieses Gebet als das „höchste“ bezeichnete, zeigt es die tiefe innere Verbindung von Judentum und Christentum. Doch es gibt auch einen tiefgreifenden Unterschied zwischen beiden, ergänzte Arnold. Dies ist etwa an der Einrichtung der jeweiligen Gottesdiensträume zu erkennen: „Im Kirchenraum ist alles auf das Kreuz hin ausgerichtet, in der Synagoge steht hingegen die Tora im Mittelpunkt.“
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Kirche und Judentum
Um das Verhältnis von Kirche und Judentum ging es bei einem Besuch des Kirchenvorstands der Evangelischen Auferstehungskirche in Eschwege in der Synagoge Abterode.
Die 2000-jährige Geschichte der Kirche war über weite Strecken hinweg von Unverständnis, Vorurteilen und Hass gegenüber dem Judentum gekennzeichnet. Der christliche Antijudaismus war ein wesentlicher Anknüpfungspunkt für den rassischen Antisemitismus, der im 19. Jahrhundert entstand. In der Shoah wurden sechs Millionen Jüdinnen und Juden umgebracht und auch in der Region Werra-Meißner alle 14 jüdischen Gemeinden ausgelöscht.
Das Erschrecken über die Shoah und die Mitverantwortung der Kirchen für den Antisemitismus hat zu einer Neubesinnung geführt. Sie fand ihren Ausdruck unter anderem in den „Zehn Thesen von Seelisberg“ (1947), der jüdischen Erklärung „Dabru emet – Redet Wahrheit“ (2000) und der Erklärung der Landessynode der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck zum Verhältnis von Juden und Christen (2021). In der Erklärung der Landessynode heißt es: „Die Landessynode sieht die Erkundung des besonderen Verhältnisses von Christen und Juden und die Einübung in die Begegnung weiterhin als unverzichtbare Aufgabe an. Sie bittet die Mitglieder der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, insbesondere alle Verantwortlichen in den Kirchengemeinden und Kreissynoden sowie in den Einrichtungen der Landeskirche nachdrücklich, daran mitzuwirken, dass die Verbundenheit zwischen Christen und Juden gestärkt und weiterentwickelt wird. Den damit zusammenhängenden theologischen Fragen soll auch in den Einrichtungen und Ausschüssen der Landeskirche dauerhaft entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt werden.“
Die Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher der Auferstehungskirche informierten sich besonders über die Geschichte der Jüdinnen und Juden in Abterode, Eschwege und in der Region Werra-Meißner. „Das war ein starker Impuls“, sagte Pfarrer Joachim Meister, „den wir gern in unsere Arbeit aufnehmen und unterstützen.“
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Margot Löbenstein erzählte, wie sie den Holocaust überlebte
Foto: Thomas Beck
Nach einer langen Odyssee durch verschiedene Konzentrationslager konnte die Eschweger Jüdin Margot Löbenstein kurz vor Kriegsende im Jahr 1945 nach Schweden entkommen. Kurz vor ihrem Tod im Jahr 2015 erzählte sie einer Verwandten ihre Lebensgeschichte. Die Tonaufnahme dieser Erzählung wurde nun erstmals in der Synagoge Abterode öffentlich vorgestellt. An der Vorstellung nahmen auch Susana und Gabriela, die beiden nach dem Krieg geborenen Töchter von Margot Mezger geborene Löbenstein teil. Sie waren online aus Buenos Aires (Argentinien) zugeschaltet.
Die Tonaufnahme war dem Verein der „Freundinnen und Freunde jüdischen Lebens im Werra-Meißner-Kreis“ durch Thomas Beck zu Verfügung gestellt worden, der sich zuvor intensiv mit der Lebensgeschichte von Margot Löbenstein beschäftigt hatte. Simon Exner und Jonathan Panke hatten im Rahmen eines „Freiwilligen Sozialen Schuljahres“ die Tonaufnahme technisch verbessert, aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt, mit Untertiteln versehen sowie mit Karten und Fotografien ergänzt. Dabei wurden sie unterstützt von Thomas Bartscher, der im Vorstand des Vereins mitarbeitet. 29 Personen verfolgten die Vorstellung in der Synagoge Abterode, weitere 24 waren online zugeschaltet. Magdalena Scharf und ihre Tochter Aimara übersetzten aus dem Deutschen und Englischen ins Spanische.
„Die Veranstaltung war auch für unseren digitalen Lern- und Gedenkort eine große technische Herausforderung“, sagte Dr. Martin Arnold im Anschluss. Berührend war jedoch die Erzählung von Margot Mezger-Löbenstein selbst, die ihre Eltern und ihre Schwester im Holocaust verlor. „Nur wenige haben den Holocaust überlebt und von denen sind die allermeisten inzwischen verstorben“, sagte Ludger Arnold, der den Abend moderierte, „deshalb sind solche Zeitzeugenberichte besonders kostbar.“ Weitere Zeitzeugenberichte von Jüdinnen und Juden aus dem Gebiet des heutigen Werra-Meißner-Kreises sind in der Synagoge Abterode vorhanden und können dort angeschaut werden.
Von links nach rechts: Thomas Bartscher, Martin Arnold, Simon Exner, Frank Koch, Ludger Arnold und Jonathan Panke
Thomas Beck informiert über die Lebensgeschichte von Margot Mezger-Löbenstein
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Was man so alles finden kann …
Werra-Rundschau 6. Juli 2023
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Erstkontakt mit den Spuren jüdischen Lebens in der Region
24 Schülerinnen und Schüler der Anne-Frank-Schule in Wanfried besuchten die Synagoge und den jüdischen Friedhof in Abterode. Die allermeisten hatten noch nie eine Synagoge von innen gesehen und auch noch keinen jüdischen Friedhof besucht. In Begleitung ihrer Lehrkräfte Petra Heinemann und Lina Eisenhuth fuhr die Gruppe von Wanfried mit Linienbussen nach Abterode. Dort wurden sie von Arnold Baier und Martin Arnold begrüßt. Beide gehören zu den „Freundinnen und Freunden jüdischen Lebens im Werra-Meißner-Kreis“.
Am Beispiel der Abteröder Synagoge lernten die Schülerinnen und Schüler die typischen Einrichtungsgegenstände einer Synagoge kennen: Den Tora-Schrein, das Lesepult und das Ewige Licht. Mithilfe von Tablets recherchierten sie in der Datenbank des Vereins über die Spuren jüdischen Lebens in Wanfried. Eine jüdische Gemeinde bestand in Wanfried schon im 16. Jahrhundert. Ein Protokollbuch des jüdischen Gemeindevorstands aus dem Zeitraum 1661 bis 1768 harrt noch auf eine wissenschaftliche Auswertung. Wie in vielen anderen Orten wurde auch in Wanfried in der Zeit des Nationalsozialismus nicht nur die Synagoge abgerissen, sondern auch die Gemeinde ausgelöscht.
An den Besuch der Synagoge schloss sich ein Gang zum jüdischen Friedhof an. Er ist einer der größten und ältesten jüdischen Friedhöfe in Hessen. Mit Hilfe von Bildkarten erkundeten sie die symbolischen Zeichen, mit denen viele Grabsteine geschmückt sind. Der jüdischen Trauerkultur entsprechend legten sie auf manchen Grabsteinen kleine Steine ab. Einige fotografierten auch besonders ansprechende Grabdenkmäler.
Die Zeit verging wie im Flug. „Am 10. September ist wieder ‚Tag des offenen Denkmals‘“, sagte Arnold Baier. „Da ist Gelegenheit, mit virtuellen Brillen den unzerstörten Innenraum der Eschweger Synagoge zu entdecken.“ Einige werden sich diese Gelegenheit sicher nicht entgehen lassen.