Aktuelles

  1. Abschied am Bahnhof Berlin

    Ingrid Löwenstein (* 1929 in Eschwege)

    Es muss ein schwerer Abschied gewesen sein. Paula und Willy Löwenstein setzten im Jahr 1939 ihre neunjährige Tochter Ingrid in einen Zug, der sie über Berlin nach Stockholm bringen sollte. Damit retteten sie ihr das Leben. Sie selbst wurden im Jahr 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet.

    Susan Cantos, die Tochter von Ingrid Löwenstein, erzählte nun sehr einfühlsam die Geschichte ihrer jüdischen Familie. Ihre Mutter Ingrid gelangte mit einem sogenannten „Kindertransport“ nach Schweden. Melanie Salewski erläuterte, dass etwa 10.000 jüdische Kinder auf diese Weise gerettet werden konnten. Doch die Trennung von den Eltern war oft endgültig und mit einem Trauma verbunden.

    Ingrid Löwenstein gelangte über Schweden in die USA. Sie heiratete und hatte dort ein gutes Leben. Ihre Lebensgeschichte erzählt sie selbst in einem Zeitzeugenvideo, das in der Veranstaltung in Abterode in Ausschnitten gezeigt wurde. Auch zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den USA waren online der Veranstaltung zugeschaltet, in der auch Luca Siepmann (Oxford) als Übersetzer mitwirkte.

    Mit dem Abend in Abterode endete der fünftägige Besuch von Susan Cantos in Eschwege. Sie dankte den Freundinnen und Freunden jüdischen Lebens für die Gastfreundschaft und Unterstützung bei der Suche nach den Spuren ihrer Vorfahren. „Dass nach den schrecklichen Geschehnissen in der Nazi-Zeit uns heute Jüdinnen und Juden besuchen, ist ein großes Glück und berührt mich sehr“, sagte Dr. Martin Arnold, der Vorsitzende des Vereins.

    Das Zeitzeugen-Interview mit Ingrid Löwenstein ist im Lern- und Gedenkort Synagoge Abterode zugänglich. Ein Besuch kann über info@synagoge-abterode.de vereinbart werden.

  2. Eine besondere Geschichtsstunde am Oberstufengymnasium Eschwege

    Susan Cantos ist die Tochter von Ingrid Löwenstein, die im Jahr 1939 als Neunjährige mit einem „Kindertransport“ nach Schweden in Sicherheit gebracht werden konnte. Ingrid überlebte durch die Trennung von ihren Eltern den Holocaust, nicht jedoch ihre Eltern. Willy und Paula Löwenstein wurden nach Theresienstadt deportiert und im Jahr 1944 in Auschwitz ermordet. Susan Cantos erzählte den Schülerinnen und Schülern der 13. Jahrgangsstufe von ihrer Familiengeschichte. Sie ist selbst Lehrerin und spürt in sich die pädagogische Begabung ihrer Großmutter Paula, die in Eschwege einen Kindergarten leitete. „Beim Besuch der Eschweger Synagoge konnte ich meine Familie fühlen“, sagte sie den Schülerinnen und Schülern mit erkennbarer Emotionalität. Ihr Urgroßvater Levi Bacharach war Kantor in der Eschweger Synagoge gewesen. „Wir alle sind nicht für den Holocaust verantwortlich“, sagte sie, „aber wir haben alle eine Verantwortung für die Zukunft, dass es nie wieder geschieht.“

    Susan Cantos (Mitte) mit (von links nach rechts): Annamaria Zimmer, Schulleiterin Marion Lenz, Dr. Martin Arnold und Melanie Salewski

    Susan Cantos erläutert mit Hilfe von Fotografien, was in der Pogromnacht 1938 in der Eschweger Synagoge geschah

    Susan Cantos gewann sehr schnell die Sympathien der Schülerinnen und Schüler

    Mit Sorge erfüllt sie die politische Entwicklung in den USA. Dort sei nicht nur die Demokratie in Gefahr. Viele Jüdinnen und Juden seien auch besorgt über den zunehmenden Antisemitismus in den USA. Die Schülerinnen und Schüler zeigten sich berührt von dem sehr persönlichen und emotionalen Auftritt des amerikanischen Gastes.

  3. Danke an Jonathan Panke und Simon Exner

    Heute erhielten Jonathan Panke (links) und Simon Exner die Abschlusszertifikate für ihr „Freiwilliges Soziales Schuljahr“ bei den Freundinnen und Freunden jüdischen Lebens im Werra-Meißner-Kreis. Ein Schuljahr lang machten sie sich mit digitalen „tools“ vertraut. Damit konnten sie Zeitzeugeninterviews mit Überlebenden des Holocaust bearbeiten und öffentlich vorstellen sowie Hybridkonferenzen technisch organisieren. Ihr Coach dabei war Thomas Bartscher. Nun überreichte ihnen Landrätin Nicole Rathgeber als Anerkennung ein Zertifikat und die stellvertretende Dekanin des Evangelischen Kirchenkreises Werra-Meißner Katrin Klöpfel eine Rose.

  4. Die Bitterkeiten des „Judensterns“

    Unter den zahllosen Diskriminierungen und Demütigungen gegenüber Jüdinnen und Juden in der Nazizeit nimmt die „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung von Juden“ vom September 1941 eine besondere Stellung ein. Sie verpflichtete alle Jüdinnen und Juden, in der Öffentlichkeit einen gelben Aufnäher mit der Aufschrift „Jude“ auf der linken Brustseite ihrer Kleidung zu tragen, den sogenannten „Judenstern“. Es war ein Missbrauch des „Davidsterns“, eines wichtigen jüdischen Symbols. Die Träger wurden damit leicht zum Ziel antisemitischer Demütigungen und Angriffe.

    Viktor Klemperer hat in seinen Tagebüchern viele Beispiele notiert, was das Tragen des „Judensterns“ für ihn bedeutete. „Alle Einzelfelder reichen nicht aus, die Bitterkeiten des Judensterns zu notieren“, schreibt er. Sebastian Perels vom Jungen Theater Eschwege las nun aus Klemperers „LTI – Lingua Tertii Imperii“. In diesem Buch analysiert der Literaturwissenschaftler Victor Klemperer (1881-1860) sehr feinsinnig und eindrucksvoll die Sprache des Dritten Reiches. Cassian Lier von der Musikschule Werra-Meißner ergänzte die Lesung durch einfühlsame Gitarrenmusik.

    Cassian Lier (links) und Sebastian Perels

    Martin Arnold vom Verein der Freundinnen und Freunde jüdischen Lebens im Werra-Meißner-Kreis berichtete, dass alle noch in Abterode lebenden jüdischen Personen am 20. Oktober 1941 um 6 Uhr zu einem Appell antreten mussten. Dabei wurde ihnen die Polizeiverordnung zum Tragen des „Judensterns“ eingeschärft. Laura Wallmann erzählte von Abraham Hesse aus Hebenshausen, der denunziert und angezeigt wurde, weil er einmal in der Öffentlichkeit keinen „Judenstern“ getragen hatte.

    Im Lern- und Gedenkort Synagoge Abterode sind zahlreiche weitere Beispiele für die Ausgrenzung und Demütigung von Jüdinnen und Juden in der Region Werra-Meißner dokumentiert. Besuche und Führungen können unter info@synagoge-abterode.de verabredet werden.

  5. Mitgliederversammlung einstimmig für den Kauf der Synagoge Harmuthsachsen

    Die Mitgliederversammlung der „Freundinnen und Freunde jüdischen Lebens im Werra-Meißner-Kreis“ stimmte gestern Abend einstimmig für den Kauf der Synagoge Harmuthsachsen. Ein entsprechender Vorschlag des Vorstandes fand nach eingehender Information und Beratung breite Zustimmung. Der Kaufpreis wird von dem Verein aufgebracht. Voraussetzung für den Kauf ist jedoch, dass der Werra-Meißner-Kreis verbindlich erklärt, den Verein bei der Unterhaltung der Synagoge zu unterstützen. Ludger Arnold, der zweite Vorsitzende des Vereins, informierte darüber, dass es dazu sehr konstruktive Gespräche mit der Kreisverwaltung gebe. Man versuche, sehr zeitnah zu einer Vereinbarung zu kommen.

    Die Bedeutung der Synagoge Harmuthsachsen als letzte noch erhaltene und nicht fremd genutzte Synagoge im Werra-Meißner-Kreis steht außer Frage. Der Verein möchte sie künftig als Gedenkort für die jüdischen Familien aus Harmuthsachsen, als Begegnungsort für Menschen aus verschiedenen Kulturen und als Lernort für die nachfolgenden Generationen nutzen.

    Den Bericht des Vorstands können Sie hier nachlesen: Bericht des Vorstands für die MV am 13.09.23

  6. Tag des offenen Denkmals: Viele Besucherinnen und Besucher in der Synagoge Abterode

    Aus Abterode, aber auch aus vielen anderen Ortschaften des Werra-Meißner-Kreises kamen zahlreiche Besucherinnen und Besucher in die Synagoge, um sich dort über die jüdische Geschichte im Gebiet des heutigen Werra-Meißner-Kreises zu informieren. Vor allem die Interviews mit Zeitzeugen und die Einblicke in die unzerstörte Eschweger Synagoge mit Hilfe einer VR-Brille fanden großes Interesse. Dr. Martin Arnold und Arnold Baier vom Verein der Freundinnen und Freunde jüdischen Lebens nutzten die Gelegenheit, um mit ortskundigen Abterödern die Frage nach dem Ort der ehemaligen „Mikwe“ in Abterode zu erörtern. Aufgrund von neu aufgefundenen Bauplänen kann sie jetzt vermutlich genau verortet und vielleicht sogar virtuell rekonstruiert werden.

  7. Lea Schellhase berichtete über Opfer der Schoah aus Wichmannshausen

    Lea Schellhase bei ihrem Vortrag

    Ein Geschichtsseminar über „Stolpersteine“ an der Universität Kassel gab den Anstoß zu einer besonderen Recherche. „Wie war das eigentlich in meinem Dorf, in Wichmannshausen?“, fragte Lea Schellhase, die Grundschulpädagogik studiert. Jetzt stellte sie vor einem großen Publikum in der Adam-von-Trott-Schule in Sontra die Ergebnisse ihrer Recherche vor. Im Mittelpunkt ihrer Forschungen standen die jüdischen Familien Heilbrunn und Blum. Sowohl Sarah Else Blum als auch Rosa Heilbrunn waren in Wichmannshausen geboren. Beide Frauen und viele weitere Familienmitglieder wurden in Konzentrationslagern ermordet. Lea Schellhase zeichnete ihren Lebensweg nach. Besonders erschütternd war ein Zeitzeugenbericht über die Erfahrungen in der Pogromnacht 1938. Mit ihrer Recherche möchte sie dazu und beitragen, dass mit weiteren „Stolpersteinen“ an die Opfer der Schoah aus Wichmannshausen erinnert wird.

    Im Zuge ihrer Forschungen stieß Lea Schellhase auch auf Brian Luber, einen Nachfahren der Familie Heilbrunn, der heute in Australien lebt. Dort war es nachts um 3.00 Uhr, als er sich per Video zuschaltete und den Beitrag von Lea Schellhase mit Erfahrungen und Fotos aus der Familie ergänzte. Dabei berichtete er auch von einem Besuch in Sontra im Jahr 2019.

    Etwa 40 Personen waren zu dem Vortrag erschienen

    Ludger Arnold von den „Freundinnen und Freunden jüdischen Lebens im Werra-Meißner-Kreis“ dankte Lea Schellhase und Brian Luber für ihre beispielhaften Forschungen. Er dankte der Adam-von-Trott-Schule für die gute Kooperation und auch dem Technikteam mit Jonathan Panke und Simon Exner, die im Rahmen ihres „Freiwilligen Sozialen Schuljahres“ mit Unterstützung von Thomas Bartscher für die technische Umsetzung der Hybridveranstaltung sorgten. Ein weiterer Dank ging an die Familie von Lea Schellhase, die einen köstlichen Imbiss vorbereitet hatte.

    Von links nach rechts: Dr. Martin Arnold, Lea Schellhase, Ludger Arnold und Alwin Hartmann, 1. Stadtrat der Stadt Sontra

    Von links nach rechts: Thomas Bartscher, Simon Exner und Jonathan Panke

  8. In Abterode jüdische Trauer- und Bestattungskultur entdecken

    Etwa 40 Personen nahmen an der zweiten Führung über den jüdischen Friedhof in Abterode teil. Er ist mit 493 erhaltenen Grabstätten einer der ältesten und größten in Nordhessen. Laura Wallmann und Martin Arnold vom Verein der Freundinnen und Freunde jüdischen Lebens erläuterten die Veränderungen in der jüdischen Trauer- und Bestattungskultur vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. Als erste wurde Rechle, die Frau des Kalonymus, im Jahr 1659 auf dem neu angelegten jüdischen Friedhof Abterode beerdigt. Mit der Bestattung von Salli Stern im Jahr 1938 endete eigentlich die Geschichte der jüdischen Gemeinden Abterode und Frankershausen. Wer konnte, floh aus der Nazi-Diktatur ins Ausland. Wer nicht konnte oder wollte, wurde 1941 in das Ghetto nach Riga deportiert. Im Jahr 1941 sollte der Friedhof aufgelöst und das Gelände einer wirtschaftlichen Nutzung zugeführt werden. Dazu kam es jedoch nicht, weil die Nazi-Herrschaft 1945 endete.

    Die Männer trugen bei der Führung eine Kopfbedeckung, wie es der jüdischen Kultur entspricht. Martin Arnold las das „Kaddisch“, das wichtigste jüdische Trauergebet. Fast alle stimmten ein und antworteten mit „Amen“.

  9. Was glauben Juden, was glauben Christen?

    15 Konfirmandinnen und Konfirmanden der Evangelischen Stadtkirchengemeinde besuchten mit ihrer Pfarrerin Sieglinde Repp-Jost den Lern- und Gedenkort in der ehemaligen Synagoge Abterode. Noch niemand von ihnen hatte bis dahin eine Synagoge von innen gesehen. „Was ist das für eine Schachtel da am Türpfosten?“, fragte sie Martin Arnold von den Freundinnen und Freunden jüdischen Lebens gleich zu Beginn. Schritt für Schritt lernten die Jugendlichen durch eigene Recherchen mit Hilfe von Tablets, was eine „Mesusa“, ein „Tallit“ oder eine „Kippa“ ist. Im Mittelpunkt stand jedoch das „Schma Jisrael“, eines der jüdischen Grundgebete: Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR ist einer. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Da auch Jesus dieses Gebet als das „höchste“ bezeichnete, zeigt es die tiefe innere Verbindung von Judentum und Christentum. Doch es gibt auch einen tiefgreifenden Unterschied zwischen beiden, ergänzte Arnold. Dies ist etwa an der Einrichtung der jeweiligen Gottesdiensträume zu erkennen: „Im Kirchenraum ist alles auf das Kreuz hin ausgerichtet, in der Synagoge steht hingegen die Tora im Mittelpunkt.“

  10. Kirche und Judentum

    Um das Verhältnis von Kirche und Judentum ging es bei einem Besuch des Kirchenvorstands der Evangelischen Auferstehungskirche in Eschwege in der Synagoge Abterode.

    Die 2000-jährige Geschichte der Kirche war über weite Strecken hinweg von Unverständnis, Vorurteilen und Hass gegenüber dem Judentum gekennzeichnet. Der christliche Antijudaismus war ein wesentlicher Anknüpfungspunkt für den rassischen Antisemitismus, der im 19. Jahrhundert entstand. In der Shoah wurden sechs Millionen Jüdinnen und Juden umgebracht und auch in der Region Werra-Meißner alle 14 jüdischen Gemeinden ausgelöscht.

    Das Erschrecken über die Shoah und die Mitverantwortung der Kirchen für den Antisemitismus hat zu einer Neubesinnung geführt. Sie fand ihren Ausdruck unter anderem in den „Zehn Thesen von Seelisberg“ (1947), der jüdischen Erklärung „Dabru emet – Redet Wahrheit“ (2000) und der Erklärung der Landessynode der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck zum Verhältnis von Juden und Christen (2021). In der Erklärung der Landessynode heißt es: „Die Landessynode sieht die Erkundung des besonderen Verhältnisses von Christen und Juden und die Einübung in die Begegnung weiterhin als unverzichtbare Aufgabe an. Sie bittet die Mitglieder der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, insbesondere alle Verantwortlichen in den Kirchengemeinden und Kreissynoden sowie in den Einrichtungen der Landeskirche nachdrücklich, daran mitzuwirken, dass die Verbundenheit zwischen Christen und Juden gestärkt und weiterentwickelt wird. Den damit zusammenhängenden theologischen Fragen soll auch in den Einrichtungen und Ausschüssen der Landeskirche dauerhaft entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt werden.“

    Die Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher der Auferstehungskirche informierten sich besonders über die Geschichte der Jüdinnen und Juden in Abterode, Eschwege und in der Region Werra-Meißner. „Das war ein starker Impuls“, sagte Pfarrer Joachim Meister, „den wir gern in unsere Arbeit aufnehmen und unterstützen.“

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