Archiv: Nov 2023

  1. Alter Hass in neuen Kleidern? Podiumsdiskussion mit dem Bundestagsabgeordneten Michael Roth

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    Auf dem Podium diskutierten (von links nach rechts) Fiona Schott, Ann-Kathrin Mogge, Michael Roth und Arnold Baier. Foto: Melanie Salewski

    Hass auf Juden ist kein neues Phänomen. Schon im Mittelalter gab es einen Pogrom gegen die jüdische Gemeinde in Eschwege. Die nationalsozialistischen Pogrome gegen Juden im Jahr 1938 waren Ausdruck einer antisemitischen Ideologie. Relativ neu ist hingegen, dass sich der Antisemitismus jetzt auch als Hass auf den Staat Israel zeigt. Ausdruck gefunden hat er kürzlich im Pogrom der Terrororganisation Hamas gegen Israel.

    Michael Roth war gerade von einer Reise nach Israel zurückgekehrt. Dort hatte er unter anderem das Kibbuz Kfar Aza besucht. „Erst kamen die Hamas-Terroristen, um kaltblütig und bestialisch zu morden“, so Roth, „dann folgte ein palästinensischer Mob, der vielen Toten ihre Würde nahm und hemmungslos plünderte.“ Dieser Pogrom sei ein riesiges Trauma für Israel. Er beklagte, dass es in Deutschland viele Zerrbilder und Vorurteile gegen Israel gebe. „Dabei ist Israel die einzige Demokratie und der einzige liberale Rechtsstaat im Nahen Osten“, so Roth. Er forderte dazu auf, gegen Antisemitismus Flagge zu zeigen und Partei zu ergreifen.

    Etwa 60 Personen verfolgten die Podiumsdiskussion im Eschweger Rathaussaal

    Arnold Baier vom Verein der Freundinnen und Freunde jüdischen Lebens, der zu der Veranstaltung eingeladen hatte, konnte neben Michael Roth auch Ann-Kathrin Mogge und Fiona Schott begrüßen. Die Historikerin Ann-Kathrin Mogge engagiert sich bei dem Verein „Kopiloten“ in Kassel, indem sie unter anderem Antisemitismus in den sozialen Netzwerken dokumentiert. „Der Israel-bezogene Antisemitismus wird zu wenig wahrgenommen“, so Mogge. In den Schulen werde oft nur der nationalsozialistische Antisemitismus behandelt. Fiona Schott, Schülerin am Oberstufengymnasium in Eschwege, konnte berichten, dass der Hamas-Überfall auf Israel durchaus im Unterricht zur Sprache komme. Der Lehrplan sei sehr vollgestopft mit Inhalten. Die Schule könne jedoch dazu anregen, kritisch mit Internetinhalten umzugehen, und Medienkompetenz vermitteln.

    MdB Michael Roth (links) und Arnold Baier von den Freundinnen und Freunden jüdischen Lebens im Werra-Meißner-Kreis

    Michael Roth begrüßte, dass alle staatlichen Institutionen in Deutschland den Antisemitismus ablehnten. Dies sei keineswegs überall in Europa der Fall. In Israel werde diese Haltung gesehen und gewürdigt. Leider gebe es jedoch in der Gesellschaft ein großes Schweigen über den Terror der Hamas. Er dankte den Freundinnen und Freunden jüdischen Lebens für ihr Engagement. „Kein Kind wird als Antisemit geboren“, so Roth. Deshalb gelte es, weiter am Ball zu bleiben. Arnold Baier dankte den Mitwirkenden auf dem Podium und auch Tadeusz Piskorz, der am Flügel und am Marimbaphon musikalische Akzente setzte. Die etwa 60 Besucherinnen und Besucher hatten im Eschweger Rathaussaal eine spannende Veranstaltung erlebt.

  2. «Wir stehen an der Seite von Jüdinnen und Juden»

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    Bischöfin Dr. Beate Hofmann

    «Am 9. November erinnern wir uns an die Reichspogromnacht 1938. Fast überall in Deutschland wurden Jüdinnen und Juden von ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern gedemütigt, beraubt, ermordet und ihre Synagogen wurden zerstört. Der 9. November 1938 war Auftakt zur versuchten Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Europa.
    Am 7. Oktober 2023 wurden mehr als 1.400 Menschen, vorwiegend jüdische Israelis, von Hamas-Terroristen brutal ermordet. Es ist zutiefst verstörend, dass dieser Angriff auf Israel und die Reaktion Israels vielfach zu Antisemitismus und Israel-Feindlichkeit führte. Jüdinnen und Juden fühlen sich auch in Deutschland unsicher und bedroht.
    Wir solidarisieren uns mit Jüdinnen und Juden in Deutschland, in Israel und auf der ganzen Welt. Wir stehen an der Seite von Jüdinnen und Juden und erwarten, dass jede Form von Antisemitismus und Gewalt mit aller Kraft verhindert oder unnachgiebig bestraft wird.
    Unser tiefes Mitgefühl gilt den Angehörigen der in Israel Ermordeten, den an Leib und Seele Verwundeten und den als Geiseln genommenen Menschen und ihren Angehörigen. Unsere Solidarität und unser Mitgefühl gelten ebenso den Palästinenserinnen und Palästinensern und allen Menschen, die im Gaza-Streifen schon lange unter der Herrschaft der Hamas leiden und die jetzt Opfer der von der Hamas ausgelösten Gewalt werden.
    In unseren Kirchen und über unsere ökumenischen Kontakte in Israel und Palästina werden wir uns verstärkt dafür einsetzten, das interreligiöse Miteinander zu stärken und Räume für Austausch und Solidarität zu öffnen. Wir ermutigen die evangelischen Kirchengemeinden, für Frieden und Gerechtigkeit im Heiligen Land zu beten und sich für das friedliche Miteinander in Deutschland zu engagieren.
    Dr. Beate Hofmann, Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck
    Dr. Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
    8. November 2023»

  3. „Den Juden einen Denkzettel verpassen“ – Gedenken an den Pogrom 1938 in Herleshausen

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    Die NSDAP-Ortsgruppe Herleshausen wollte am 9. November 1938 den Juden einen „Denkzettel“ verpassen. Die SA, die gewöhnlich in „Braunhemden“ auftrat, vertauschte ihre Kleidung in Zivil, um den Eindruck einer spontanen Demonstration zu erwecken. Man besorgte sich Brecheisen und Beile, warf in zahlreichen jüdischen Wohnungen und Geschäften die Fenster ein und demolierte anschließend die Synagoge. Dort wurden die Scheiben eingeworfen, im Inneren die Bänke zerstört, Brüstungen abgerissen und Kronleuchter heruntergeworfen. Die Torarollen wurden aus dem Schrein geholt, die Gebetbücher auf die Straße geworfen. Die jüdischen Männer des Ortes wurden am nächsten Tag in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert.

    Helmut Schmidt, der Vorsitzende des Arbeitskreises „Stolpersteine“ im Werratalverein Südringgau, hatte gemeinsam mit der Südringgauschule Herleshausen eingeladen, um an diesen Pogrom zu erinnern. Trotz nasskalten Wetters waren viele gekommen, um an der Gedenkveranstaltung teilzunehmen. Ein besonderer Gast war der 95-jährige Hans Rimbach. Er saß neben Isaak Carlebach, dem Sohn des letzten Vorbeters der Herleshäuser Synagoge, auf der Schulbank. „Isi“, so Hans Rimbach, war ein Außenseiter in der Schule. Schon lange vor dem Pogrom wurde er von anderen Kindern ausgegrenzt und misshandelt. „Er ließ sich alles gefallen“, so Rimbach. „Eines Tages war er weg“, weil er als jüdischer Junge die Schule nicht mehr besuchen durfte. Den Kindern der Südringgauschule, die an der Gedenkveranstaltung teilnahmen, dürfte besonders diese Erfahrung sehr nahe gegangen sein.

    Thomas Beck hat recherchiert, was aus Isaak Carlebach geworden ist. Seinen Eltern Joseph und Rebekka Carlebach, die selbst im Konzentrationslager Auschwitz umgebracht wurden, gelang es zuvor, ihren Sohn nach Frankfurt zu bringen. Von dort gelang ihm im April 1939 mit einem „Kindertransport“ die Flucht nach Palästina. Dort lebte er in einem jüdischem Kibbuz im Gebiet des heutigen Gaza-Streifens. Er wurde Soldat und kam im Palästinakrieg 1948, als ägyptische Truppen Israel überfielen, ums Leben.

  4. Erinnern – um die Wiederholung zu verhindern

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    Gemeinsam erinnerten der „Verein der Freundinnen und Freunde jüdischen Lebens im Werra-Meißner-Kreis“, die Evangelische Kirchengemeinde Sontra, die Stadt Sontra und die Adam-von- Trott-Schule Sontra am Abend des 7. November an die Gewalt und den Terror, denen vor genau 85 Jahren Jüdinnen und Juden in Sontra ausgesetzt waren.

    Bei einem Gang zu Orten jüdischen Lebens erinnerten fünf Konfirmandinnen und Konfirmanden der Evangelischen Kirchengemeinde mit kurzen Texten an das ehemals reichhaltige jüdische Leben und das Schicksal der Menschen. Von der Adam-von-Trott-Schule, von deren Eingang man auf den „alten“ und den „neuen jüdischen Friedhof“ sehen kann, zur letzten jüdischen Schule in der Schulstraße, zu den Stolpersteinen für die jüdische Familie Plaut in der Niederstadt, zum Standort einer Mikwe an der Niederstadt 1ging es bis zum Marktplatz. Auf ihm wurden nach der Pogromnacht die jüdischen Männer zusammengetrieben, gedemütigt und anschließend in das Konzentrationslager nach Buchenwald deportiert.

    Ludger Arnold begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor der Schule und bedankt sich für die Beteiligung an dem gemeinsamen Gedenken. Er erinnerte dabei auch an die Tradition dieser Veranstaltung, denn bereits vor zehn Jahren gab es ein solches Gedenken. Im Jahre 2015 folgte die erste Stolpersteinverlegung und 2018 ein Erinnerungsgang durch Diemerode. Das Gedenken hat im Schulleben der Adam-von-Trott-Schule einen festen Platz. In diesem Jahr werde aber durch die aktuellen Kriegsereignisse noch viel deutlicher, dass diese Erinnerungen eine Mahnung sind, einen erstarkenden Antisemitismus zu verhindern. Dass das Schweigen und Wegsehen der Vielen Gewalt und Terror erst möglich machen, erläuterte in seiner Rede der Sontraer Bürgermeister Thomas Eckhardt. Er forderte eindringlich dazu auf, die Grundlage unseres demokratischen Gemeinwesens zu schützen und sich gemeinsam gegen alle Ausgrenzungen, Gewaltverherrlichungen und jeden Antisemitismus zu wenden.

    Bei der Ankunft im Evangelischen Gemeindehaus konnten sich die Teilnehmenden zunächst stärken, bevor die beiden Oberstufenschülerinnen Hannah-Sophie Boschen und Amy Siegel aus einem Augenzeugenbericht von Julius Katz lasen. Julius Katz wurde 1911 in Sontra geboren, war Kaufmann und letzter Gemeindevorsteher der jüdischen Gemeinde. Er erlebte die Reichspogromnacht in Sontra und wurde auch nach Buchenwald deportiert, konnte aber nach seiner Entlassung mit seiner Schwester und Mutter Deutschland noch verlassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte er in Frankfurt und gab 1982 einem jungen Lehrer einen ausführlichen Bericht. Ausführlich erzählt er darin von den Gewaltausbrüchen in der Pogromnacht, den Steinwürfen durch die Fenster der jüdischen Mitbürger und ihrer Todesangst. Die Eindrücke und Erlebnisse, die er aus Buchenwald schilderte, machten einen tiefen und bedrückenden Eindruck auf alle Anwesenden.

    Pfarrerin Doris Weiland rief in einem Schlusswort dazu auf, diese Geschehnisse nicht zu vergessen und sich weiter gemeinsam für Menschlichkeit und Toleranz einzusetzen. Zum Abschluss wurde ein Blumengesteck an der Erinnerungstafel gegenüber der ehemaligen Synagoge aufgestellt.

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